Debatte
Nick Lüthi | Orientierung in den Fluten: Recherchieren mit Social Media
Das Social Web als globale Ideen- und Dokumententauschbörse bedeutet für die journalistische Recherche eine große Chance durch die neuartige Informationsfülle. Diese ist zugleich eine große Herausforderung: Die Kompetenz, mit dieser Fülle sorgfältig und analytisch umzugehen, muss oft erst erworben, Standards für den Zugriff und Umgang mit den erreichbaren Informationen müssen noch etabliert und – im Diskurs – entwickelt werden.
Diskussionswürdig ist ferner das sich verändernde Rollenbild. Ein Journalist recherchiert im Social Web wie hinter Glas: vor den Augen des Publikum sowie der Konkurrenz. Journalisten müssen radikal umdenken. Sie werden nie mehr diejenigen sein, die anderen fast konkurrenzlos und wie selbstverständlich die Welt erklären, sondern sie werden gemeinsam mit dem einstigen Publikum zu einer Art Community verbunden. Bürger mischen sich ein, liefern Informationen, verlinken, taggen, verarbeiten Inhalte weiter – und sie weisen, meist „lauthals“, auf jeden Fehler hin, den sie insbesondere bei den „klassischen Medien“ finden.
Auch das Publikum, auch die Community ist gefordert: Je größer sein Rolle, desto mehr Verantwortung, beispielsweise als Quelle und kritischer Beobachter übernimmt es. Das heißt aber auch, dass es sich auseinandersetzen muss mit Standards, die im professionellen Bereich idealerweise etabliert und bekannt sind, wie beispielsweise Handlungsempfehlungen aus den Kodizes von Presseräten, die auch Argumentationssicherheit geben, was man beim Veröffentlichen etwa von Informationen über Krankheiten oder über Suizid beachten sollte. Wir müssen diskutieren, ob und inwiefern die Community da wirklich Unbedarftheit geltend machen kann.
Und schließlich: Mittelfristig wird es gar nicht mehr ein soziales Internet als eine Arte Teilbereich geben. Ist dies nicht ohnehin eine im Grunde absurde Begrifflichkeit? Medien dienen zur Kommunikation, also zur Verständigung und sind damit per se „sozial“, im „Netz“ wird alles verbunden sein und eingebunden in die interaktiven und bereits vernetzten Plattformen, die wir bislang noch als Teilbereich, eben als Social Web wahrnehmen. (Debatte angeregt durch Marlis Prinzing)
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