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Die Kunst der Story | Kapitel 3

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Tobias Eberwein | Die Geschichte der Geschichte: Journalistisches Erzählen im Wandel der Zeit

Das Ziel, neues Publikum anzusprechen, beförderte in bestimmten Phasen der Geschichte den Informationsjournalismus und in anderen den Erzähljournalismus. Heute wird Letzterer, versetzt ins Digitale, in vielen Medienhäusern mit hohen Erwartungen an seine Wirkungskraft verbunden, die sich empirisch so nicht bestätigen lassen. Ob Informationsjournalismus oder Erzähljournalismus oder Mischformen – stets geht es um die Frage, inwiefern journalistische Kernfunktionen erfüllt werden: Öffentlichkeit herstellen, die Selbstbeobachtung der Gesellschaft unterstützen, die Komplexität der Welt, in der wir leben, verstehbar machen, Teilhabe ermöglichen. Dafür gibt es keinen Königsweg.

Das Darstellungsmuster der Informationsvermittlung der Nachrichtenmedien wurde im Verlauf der Journalismus-Geschichte zwar Mainstream, aber literarisch ambitionierte Erzähljournalisten haben ihre Herangehensweise stets als expliziten Gegenentwurf dazu positioniert. Sie wollen die Defizite der Nachrichtenform ausgleichen und komplexe gesellschaftliche Zusammenhänge nachvollziehbar machen, und sie können zur Selbstreflexion des Systems Journalismus anregen: Welche Art von Wirklichkeit lässt sich abbilden, welche Emotionalität und welche Faktendichte benötigt journalistisch abgebildete Wirklichkeit, welche journalistischen Routinen treffen auf welche Publikumsroutinen? (mp/tse)

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Die Kunst der Story | Kapitel 4

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Michael Haller | Spannungsfelder des narrativen im Journalismus: Zwischen Fakten und Fiktion

Journalismus muss für „Nonfiction“ stehen: Die im angloamerikanischen Raum von jeher übliche Unterscheidung zwischen „Fiction“ und „Nonfiction“ bringt den Unterschied auf den Punkt. Es geht nicht um die Frage nach einer tieferen Wahrheit, die ein fiktionaler Roman mitunter besser einzulösen vermag als ein journalistischer Tatsachenbericht. Es geht vielmehr um den Status der Aussagen: Die Leser eines journalistischen Textes erwarten, dass die darin getroffenen Sachaussagen – wer alles, was genau, wann und wo und wie – zutreffend und die Schilderungen authentisch sind. Auch eine Erzählung hat im Journalismus zutreffend und somit im juristischen Sinne wahr zu sein. In der Welt des Rechts sind „wahr“ und „falsch“ Kriterien, die sich auf „Tatsachen“ beziehen. Und mit „Tatsachen“ sind Aussagen gemeint, die unstrittig zutreffen, also „intersubjektiv verifiziert“ sind. Einfacher gesagt: Aussagen, die von mehreren unabhängigen Zeugen bestätigt werden.

Mit seinem Kolportageroman „Der Auftrag – oder Vom Beobachten des Beobachters der Beobachter“ (1986) schrieb Friedrich Dürrenmatt eine sprachlich brillante Novelle, die genau vierundzwanzig Sätze auf hundert Seiten Länge umfasst. Im Vorwort sagte Dürrenmatt: „Nicht ich trieb die Sätze, wohin ich wollte, die Sätze trieben mich, wohin sie wollten.“ Treffender und knapper lässt sich der Unterschied zwischen literarischer Dichtung und journalistischer Reportage nicht beschreiben. Im Unterschied zum Literaten muss der Journalist dafür sorgen, dass die Sätze, die er schreibt, ihn nicht entführen und aus dem Dokumentarischen wegleiten. Diese Gefahr der Verführung in Richtung Fiction wird umso grösser, je trivialer das Thema und magerer die Recherchen waren: Langweilige Geschehnisse spannend zu erzählen, ist ein Kunststück; Spannendes hinzuzudichten, ist deutlich einfacher. Dieses Problem hat Egon Erwin Kisch, der wohl berühmteste Reporter des 20. Jahrhunderts, mit einer Moritat veranschaulicht: In seiner autobiografischen Schrift „Debüt beim Mühlenfeuer“(1942) bezichtigte er sich selbst der Lüge. Er habe als junger Prager Nachwuchsreporter in seinem Bericht über einen Großbrand die Unwahrheit deshalb geschrieben, weil er am Ort nicht recherchiert und somit auch nicht genau hingesehen hatte („offenbar ist die direkte Beschreibung der Wirklichkeit weit schwieriger“). Er zog daraus den Schluss: „Ein Chronist, der lügt, ist erledigt“. Im Übrigen: Manches weist darauf hin, dass sich diese Episode so gar nicht ereignet hat, Kisch sich diese Geschichte wohl aus pädagogischen Gründen ausgedacht hat – also eine moritatische Lüge in einer romanhaft verfassten Autobiografie. Kisch würde vermutlich sagen: Ich war hier ja kein Chronist (= Berichterstatter), sondern Literat.

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Die Kunst der Story | Kapitel 7

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Hanspeter Bäni | Versiert, reflektiert, der Wahrheit verpflichtet: Dokumentardramaturgie am praktischen Beispiel

Durch eine Vielzahl neuer Subformen im Bereich Dokumentarfilm versuchen Produzenten, die erodierenden Zuschauerzahlen zu stoppen. Doku-Soap, Reality-TV und Reality Soap ergänzen klassische Dokumentationen und Reportagen. Mit der Lancierung von Fake-Dokus wurde sogar das höchste Gut geopfert, das Dokumentarfilmer zu bieten haben: Glaubwürdigkeit. Dadurch wird der Grundgedanke des Dokumentarfilms ad absurdum geführt. Wahrlich, der Konkurrenzkampf wird in einigen Fällen mit harten Bandagen geführt – bis über die Schmerzgrenze hinaus. Aber auch beim Reenactment (siehe 1.) muss das Publikum unterscheiden lernen, was echt ist und was nicht. Das ist zu diskutieren, wie auch die Frage, an welchem Punkt die Ethik und die Moral des Erzählens von wahren Geschichten überschritten werden.

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Die Kunst der Story | Kapitel 10

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Alice Kohli | Sylke Gruhnwald |
Praxisbericht 2: Hämmern, Sägen, Feilen: Wie eine mulitmediale Geschichte entsteht

Webreportagen (und auch Newsgames) binden den Leser aktiv in den Ablauf der Geschichte ein. Sie lassen den Nutzer entscheiden, in welchem Tempo und mit welcher Intensität er sich mit einer Geschichte auseinandersetzen möchte. Damit stellen sie althergebrachte Gewohnheiten des Nachrichtenkonsums infrage und stellen neue Anforderungen an Autoren sowie an Nutzer. Sicher liegt es im Ermessen der Autoren, inwiefern sie eine Geschichte aus der Hand geben und ob ein Thema sich für einen interaktiven oder gar spielerischen Zugang eignet; und sie müssen sich dann mit der Kritik auseinandersetzen, wenn die Meinungen auseinandergehen. Oder wenn sie zu eindimensional wirken.

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Die Kunst der Story | Kapitel 11

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Christof Moser | Das Große im Kleinen sehen: Storytelling im Lokalen

Der Fokus auf lokale Berichterstattung zur Publikumsbindung kann zu einem falsch verstandenen Lokaljournalismus führen, der überregiona- le oder globale Zusammenhänge lokaler Ereignisse ausblendet und dem Publikum verunmöglicht, die zunehmende Vernetzung ihrer Lebenswelt zu erkennen und bei ihren politischen, wirtschaftlichen und gesellschaft- lichen Entscheidungen zu berücksichtigen. Das Resultat ist eine Provin- zialisierung der Berichterstattung, die der Wirklichkeit nicht hinreichend Rechnung trägt.

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