Kurz und bündig: Eine kleine Navigationshilfe für das Recherchieren speziell im Netz (RiN 15)

Recherche im Netz | Kapitel 15

Marlis Prinzing

Der Band schließt mit einem 20-Punkte-Check zum Recherchieren speziell im Netz. Wie das jeweils genau und konkret geht, findet sich in den Kapiteln und insbesondere in den praktischen Anleitungen im Band. Und was es noch zu sagen gibt, würde uns ebenfalls interessieren: Diskutieren Sie, kritisieren Sie, geben Sie Anregungen und Impulse hier.

1. Selbstbewusst recherchieren
Recherche ist vor allem jenen Personen verdächtig, die etwas zu verbergen haben. Deshalb wollen sie Recherche als Schnüffelei abtun, und degradieren Journalisten zu bloßen Schnüfflern. Davon darf man sich als professioneller Journalist nicht abhalten lassen, sondern muss sein Rückgrat stärken. Recherchieren, also Hintergründe, Zusammenhänge oder Missstände aufzuspüren, heißt, den Kern des journalistischen Auftrags erfüllen: Professionelle Journalisten wollen herausfinden, wie etwas wirklich war und machen dies, wenn es gute Gründe dafür gibt, öffentlich – und zwar möglichst ohne Furcht vor Mächtigen und Hochmögenden.

2. Mit neuen Instrumenten umgehen – und mit klassischen
Die Digitalisierung gibt Journalisten neue Instrumente in die Hand (Datenjournalismus und Hacking seien stellvertretend als Beispiele genannt). Die Verfügbarkeit solcher Instrumente ist eine von mehreren Erklärungen, weshalb gerade heutzutage mancherorts neue Investigativ-Ressorts gegründet werden. Die Digitalisierung birgt aber auch neue Risiken. Die weitschweifige Überwachung, die 2013 durch Edward Snowdens Enthüllungen offensichtlich wurde, zeigt beispielsweise auch, dass es immer schwieriger wird, Informanten, die einem vertrauliche Hinweise, Dokumente oder Daten übermitteln, zu schützen. Hier (und nicht nur hier) erweist sich als hilfreich, wenn man beide Welten kennt und beherrscht: die klassischen Recherchierweisen und die digitalen.

3. Veränderte Rolle realisieren
Journalisten sind durch den digitalen Medienwandel nicht mehr die Schleusenwärter, die bestimmen, was öffentlich wird; viele Quellen sind für das Publikum direkt erreichbar. Das bedeutet, dass Journalisten oft in im Prinzip zugänglichem Material recherchieren. Ihre Professionalität besteht darin, dass sie in den Informationsfluten das Relevante und das Richtige finden. Sie werden zu Sinnstiftern, indem sie Kontexte herstellen. Und sie sind Dienstleister, die für ihr Publikum Geschichten aufbereiten und Fakten prüfen. Gerade diese Überprüfung aber ist eine der Herausforderungen, die vertieftes Wissen speziell zu Prüfmethoden für Informationen aus dem Netz erfordern.

4. Erst nachdenken, dann suchen.
Ziellos suchen, ist Zeitverschwendung, wer finden will, benötigt einen Plan und eine Suchstrategie. Das heißt auch, er muss sich auskennen.

5. Besser suchen.
Lernen Sie besser googeln. Lernen Sie anders und mit anderen Maschinen suchen. Legen Sie Ihre Fangnetze in den Sozialen Netzwerken aus und spannen Sie Ihre Netzwerke in Ihre Suchen ein. Je präziser Sie suchen und je gezielter Sie die Orte, auswählen, an denen Sie suchen, desto findiger sind Ihre Rechercheergebnisse. Ziellos suchen, ist Zeitverschwendung, wer finden will, benötigt einen Plan und eine Suchstrategie. Das heißt, er muss sich auskennen.

6. Sich spezialisieren und von anderen profitieren.
Sich auskennen heißt auch, sich spezialisieren. Wer sich in spezielle Fachlogiken und Spezifika einarbeitet, kann systematischer vorgehen. Es muss ja nicht ein Gebiet bis in alle Ewigkeit sein, aber auch nicht täglich ein anderes. Und: Zu vielen Berufen gehört die Recherche dazu; auch von diesen Erfahrungen lässt sich  profitieren. Wer sich etwa mit der Fragekunst von Forensikern vertraut macht und damit beispielsweise mit deren Wissen um Methoden, wie man Lügen erkennt, kann so seine journalistischen Fragetechniken feilen und ergänzen, um noch besser zu echten Informationen zu gelangen.

7. Bleiben Sie updated.
Regelmäßiges Updating ist so etwas wie das Fitnesstraining für den Leistungssportler. Sorgen Sie für ihr Update in dreifacher Hinsicht: Erstens im wirklichen Leben, zweitens im Web (RSS-Feeds melden Neues und halten à jour, ohne dass man dauernd im Internet surfen muss), drittens im Büro durch Software-Updates. Und: Neue Technik ist (oft) kein Luxus, sondern Schutz. Wer sich neben dem Büro- und Arbeitsgerät einen zweiten Rechner nur zum Surfen und Ausprobieren von Software leistet, trägt auch dazu bei, dass seine Daten sicher(er) bleiben.

8. Tauschen Sie auf dem Marktplatz der Sozialen Medien Ideen, Dokumente, Erfahrungen etc.
Das Soziale Netz machte das Web zur globalen Tauschbörse für Ideen und Dokumente. Diese Börse bietet Journalisten große Chancen als Makler großartiger und neuartiger Recherchegeschichten. Social Media sind Problem und Lösung zugleich: Einerseits erzeugen Sie unüberschaubare Informationsberge, andererseits liefern sie die Instrumente, um aus diesen Bergen das Gold, die Informationsessenz zu schürfen respektive zu recherchieren; jeder Journalist muss wissen, wie das geht, wenn er nicht den Anschluss verlieren und mittelfristig seinen Job an den Nagel hängen will.

9. Gestalten Sie mit, reden Sie mit, tragen Sie bei zur ethischen Justierung.
Das Social Web ist ein Beispiel für mehrere medienethische Fragen, die die Digitalisierung neu aufwirft: Was ist im Social Web privat und muss es bleiben, was kann und muss an die Öffentlichkeit? Was ist dort überhaupt öffentlich? Über all dies besteht kein Konsens. Aber genau dies Anlass mitzudiskutieren, inwiefern beispielsweise bezogen auf das Soziale Netze medienethische Handlungsempfehlungen angepasst oder ergänzt werden müssen und damit inwiefern der medienethische Kompass zu justieren ist. .

10. Keine Angst vor dem Publikum, keine Furcht vor Communities.
Soziale Medien bewirken, dass mindestens Teile der Recherche transparent und unter den kritischen Blick von Publikum und Konkurrenz erfolgen. Das verlangt ein anderes Vorgehen und ermöglicht, auf ganz andere Weise zusammenzuarbeiten: mit dem Publikum, aber auch mit den Kollegen „von der Konkurrenz“. Im Übrigen: Durch das Netz gibt es im eigentlichen Sinn kein Publikum mehr, sondern mehr oder weniger aktive Communities.

11. Bauen Sie eine Mitmach-Kultur auf.
Die Crowd, also das Publikum, ist eine Quelle und ein Helfer. Bringen Sie Ihr Publikum zum Sprudeln, motivieren Sie es mitzumachen, machen Sie es zum Helfer, um Themen zu stemmen, die Sie infolge der Digitalisierung anpacken wollen, aber als Redakteur oder als Freier Journalist alleine nie bewältigen könnten.

12. Wagen Sie den Grenzgang.  
Denken Sie größer, beachten Sie auch die internationalen Perspektiven, den weiteren Kontext, die transnationale Perspektive einer Geschichte. Und bedenken Sie, dass kulturelle Unterschiede und Mentalitäten eine große Rolle spielen, machen Sie sich also mit Grundlagen der interkulturellen Kommunikation vertraut, ähnlich wie etwa auch jeder Manager in einem global agierenden Unternehmen, der auch internationalem Parkett erfolgreich sein will.

13. Bauen Sie Teams.
Überwinden Sie auch die Grenzen von Ressorts und von Medienhäusern. Auch Kollegen und Kolleginnen sind Quellen und Helfer. Teams aus sich gegenseitig respektierenden Mitgliedern, die zuverlässig und entlang klarer Vereinbarungen arbeiten, helfen, ganz neue Dimensionen in Recherchen und Geschichten zu entdecken und aufzuarbeiten.

14. Pflegen Sie das Lokale.
Geschichten gibt es überall, schaffen Sie das Vertrauen, dass man sie am ehesten Ihnen erzählt: Bauen Sie lokale Netzwerke und Communities auf, pflegen Sie diese, kommunizieren Sie mit der Öffentlichkeit vor Ort und lernen Sie möglichst rasch den Umgang mit Instrumenten, die dafür so nützlich sind wie Hammer und Nagel in jedem Haushalt: Instrumente wie Tweets, Storify, Instagram, Scribble Live…

15. Seien Sie sensibel.
Das Internet erhöhte das Risiko, bei Recherchen auf dem Glatteis zu landen und Fakes sowie Betrug aufzusitzen. Eignen Sie sich also Instrumente an, die Ihnen helfen, zumindest die dicken Klöpse zu vermeiden.

16. Lassen Sie sich sponsern.
Anspruchsvoller Journalismus ist im Interesse von jedem von uns. Crowdfunding heißt, dass viele ihren Teil beitragen, eine Geschichte zu finanzieren. Voraussetzung ist: Sie müssen wissen, was sie recherchieren wollen, und den Leuten klar machen, warum das wichtig ist.

17. Bedenken Sie alles, was Recht ist.
Sie müssen nicht Jurist im Nebenamt sein, aber sie sollten beispielsweise die Kernbereiche des Urheberrechts und des Persönlichkeitsrechts sowie die hauptsächlichen Fallstricke kennen, damit Sie bei der Recherche im Netz nicht über sie stolpern.

18. Denken Sie Journalismus prozessural.
Früher galt als „gesetzt“ im wahrsten Sinne des Wortes, wenn etwas in einer Zeitung gedruckt war. Die Digitalisierung ermöglicht, Geschichten nicht mehr als endgültige Werkstücke zu betrachten, sondern sie – im Dialog mit ihrem Publikum – laufend fortzuschreiben und zu aktualisieren.

19. Die Welt ist größer als das Web. Und lebendiger.
Wie eh und je gilt: Journalisten müssen mit Menschen reden. Direkt. Und sie treffen. Persönlich.

20. Und schließlich: Machen Sie bewusst, was guter Journalismus wert ist.
Viele Menschen können heute die Stoffqualitäten von T-Shirts unterscheiden, erkennen aber nicht die Unterschiede zwischen Billigjournalismus und einem Markenjournalismus, der wertegeleitet zentrale Funktionen erfüllt, also kritisiert, kontrolliert, informiert etc., sorgfältig recherchiert, prüft, kuratiert, verknüpft, kontextualisiert – und zur Verständigung in der Gesellschaft beiträgt. Erzeugen Sie bei Ihrem Publikum (verstanden als Community) ein Gespür für diese Unterschiede. Im Netz gemeinsam zu recherchieren und zu kommunizieren, rückt den Journalismus und sein Publikum näher zusammen. Nützen Sie diese Nähe auch, um die Reputation von Journalismus zu stärken und um Ihr Publikum mit dem besonderen Auftrag des Journalismus in einer Gesellschaft vertraut zu machen, der jeden Bürger, jede Bürgerin direkt angeht. Journalisten sind für das Ermöglichen eines gesunden Diskurses über die Welt, in der wir leben und über die Art, wie wir leben wollen, gerade in demokratischen Gesellschaften so bedeutsam wie Ärzte für die Volksgesundheit.

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